Die Bilder von Agnès Godard entführen den Zuschauer in ein Paris der Vororte, der Tristesse und fern der Touristen. Die Jahreszeit – Winter – verschärft die Kargheit der Straßen. Über den gesamten Film legt sich Melancholie wie ein matt-durchsichtiges Glas.
Im Zentrum der Geschichte von 35 RUM steht ein Abschied, damit auch ein Neuanfang. Eine Erfahrung des Verlusts; auch der Mut, etwas unbestimmt Neues zu wagen. Ein Kreislauf des Lebens, der nie pathetisch, nie im Kitsch, aber genauso wenig in Banalitäten versackt.
Das Schauspieler-Ensemble bezaubert und verführt uns. Wenn jeder Abschied doch so schön wäre! Fern all der Bilder, die uns Konflikte erzählen, erleben wir hier eine Gemeinschaft, die zusammen etwas tut, Zeit verbringt. Kleine Gesten und Blicke verraten das Nötige und schon entsteht eine verhalten erzählte Liebesgeschichte; ein zurückgehaltener Schmerz darüber, jemanden zu verlieren, wie auch der Glanz der ersten Liebe eines jungen Paares setzen uns in die Züge der Banlieux, die durch Tunnel und Betonschluchten ruckeln.
Eine Poesie der Bewegung, die horizontale Bewegung des Lebens, das Voranschreitet, wird aus der Bahn geworfen (buchstäblich) durch Blicke und Bewegungen in Treppenhäusern, die zart und heimlich unausgesprochene Beziehungen knüpfen.
In dem Film gibt es für die Dramaturgen unter uns etwas zu lernen: Viel von der Faszination für die Figuren und ihre Entscheidungen hat ihren Ursprung darin, dass wir nie sofort und unmissverständlich benennen können, was die Freundschaft, was die Backstory, was die Beziehung der Figuren untereinander ist. Sind es Arbeitskollegen? Lief da etwas im Bett, wann war die Liebe zu Ende, war sie je zu Ende? Der Film vermeidet die Antworten, deutet an, verschweigt, überspringt und blendet aus. Der Film macht es richtig.
Der Film macht einen Fehler, dem ich nur allzu gerne verzeihe. Wie so viele Filme, die den Konflikt nicht steigern möchten, greift er auf das Vehikel Selbstmord am Ende zurück. Schlimmer in Independent-Filmen ist nur eine ungewollte Schwangerschaft, die über das Paar hereinbricht. Doch verliert sich der Selbstmord in Andeutungen, fällt zwischen Ellipsen einfach weg, dass er zum Glück den hoffnungsvollen Aus- und Aufbruch in keiner Weise schmälert.
Einer meiner Lieblingsfilme von Claire Denis.
Bild von Soudaine Compagnie: Claire Denis bei der Arbeit.