TWIN PEAKS 25 JAHRE SPÄTER

In der ersten Folge der Fortführung des Klassikers TWIN PEAKS findet sich ein merkwürdiges, Befremden provozierendes und doch so vertraut wirkendes szenisches Arrangement: Ein Mann starrt auf einen durchsichtigen Kubus in einem fensterlosen Raum in einer Großstadt. Auf den Kubus selbst sind Kameras gerichtet, der Mann sitzt bequem auf einem Sofa und wartet, dass eine Stimme ihm befiehlt, irgendwelche Chips umzustöpseln. Das ist, wie er uns später sagt, sein Beruf. Er wird dafür bezahlt.

Wie so oft bei David Lynchs Werken kommt man erst in den vollen Seh- und Erlebgenuss, wenn man die narrative Szene nicht als Teil einer Figurenwelt, als Baustein einer Geschichte versteht, sondern sie als Zeichen für das Medium liest, in dem es vorkommt. Sprich: Diese Arrangement erinnert sofort an eine andere mediale Konfiguration, die uns allen sehr vertraut ist: Das des Couch-Potatoes in seinem Wohnzimmer. Der Serien-Zuschauer findet sich in dieser Szene gespiegelt.

Abends, wenn die Gardinen zugezogen sind und der Fernseher läuft, machen wir eine ähnliche Erfahrung wie der fokussiert-entspannte Zuschauer des Kubus. Und es braucht nicht erst Adorno und Horkheimer mit ihrer Kulturkritik, damit wir feststellen, dass unsere abendlichen Freizeitstunden, die das Maximum an Aufmerksamkeit mobilisieren, die Kehrseite unseres Arbeitslebens sind, und somit dem Arbeitszyklus des Ausspannen und Anspannens nie entwachsen können.

Der Mann bekommt Besuch von einer jungen Frau. Während er seinem Job nachgeht – er erwartet einen prophetischen Moment, etwas soll ankommen, etwas soll zu sehen sein, Licht soll im Nichts erscheinen -, während er das tut, kommt es, wie es mit einer attraktiven Partnerin auf dem Sofa so kommt: nämlich zum Ausbruch der Leidenschaften, der sich in Filmen und Serien direkt übersetzen lässt in verschlungene, nackte Körper, die sich einem Begehren hingeben, und zwar dem Körper des anderen.

Natürlich erscheint just in dem Augenblick der Prophet auf dem Bildschirm, im Kubus. Eine Figur, die sich in ihrer Beweglichkeit und in ihren Gesten jeglicher Psychologie entzieht und gleich an das Ur-Bild und Fantasma des Kinos erinnert: Die Beobachtung von Bewegung, losgelöst vom Bewegungsträger.

Das Flimmern und Zittern der Gestalt, die sich krass vom Hintergrund abhebt, stammen jedoch nicht vom Medium Kino, sondern vom Fernsehen, von der Übertragung von Daten, vom Empfangen von Wellen. Das Flimmern, das im Massenmedium als Störung empfunden wird, wird hier zum Ausdruck des Einbruchs von Horror – die Erfüllung des ersehnten prophetischen Augenblicks ist, wie kann es je anders sein, zugleich Himmel und Hölle für den Gläubigen.

In der Hinsicht kann das Ende der Horror-Sequenz in der ersten Folge von TWIN PEAKS als Kommentar und Anspielung auf die Ursehnsucht vom Bewegungsmedium verstanden werden: Die Figur bricht aus ihrem Raum aus, der Horror überträgt sich auf den Zuschauerraum. Und natürlich wird im Selbstverständnis der Filmemacher immer auch ein hohes Maß an Selbstüberschätzung mitgetragen: Die Horrorgestalt schneidet, sticht, frisst das nackte Paar blutig, die Zuschauer sind dem Leinwand-Phantom ausgeliefert. Die klinische, vertraute Szenerie eines Couch-Potatoes verwandelt sich dadurch in ein buchstäbliches Schlachtfeld.

Der Zuschauer kann sich nicht gegen die Bilder wehren – welcher Regisseur oder Regisseurin würde nicht davon träumen? Somit wird diese Konstellation, die auf den Zuschauer verweist, zugleich symptomatisch für das Selbstverständnis der Filmschöpfer.

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