+++ Spoiler +++
Eine Figur im Schwebezustand, Howard Ratner (Adam Sandler) läuft, fährt, redet sich durch Räume, Straßen, Nachtclubs und Auktionen. Einzig seine schlecht funktionierende Sicherheitstür kann ihn aufhalten, ihn, die Kunden aber auch die Verfolger in seinen Juwelierladen einsperren.
Das Motiv der Gefangennahme verwebt Howards Schicksal mit dem der anderen Figuren. Sein Gläubiger und Verwandter Arno nimmt ihn gefangen und lässt ihn nackt in den Kofferraum einsperren; Howard versteckt sich freiwillig in der Kammer seiner Freundin mit dem allzu markanten Namen Julia de Fiore, um im nächsten Augenblick heraus zu platzen. Die Sicherheitsschleuse wird zum Aquarium für Menschen, wenn die Schläger wie auch die Kunden weder rein noch herauskommen. Doch die Räume wecken keine Klaustrophobie, es geht nicht um den psychischen Eindruck. Die Innenräume wie im Apartment seines Schwiegervater sind einfach nur eng, die Gänge zum Büro schmal.
Das Tageslicht traut sich schon lange nicht mehr hinein.
Genau wie der Rohdiamant, den er aus Äthiopien in Fischen verpackt einfliegen lässt (die schwarze Statue beim MALTESER FALKEN würde neidisch auf die Innereien der aufgeschlitzten Fische schauen, die den Rohdiamanten auf seiner Reise von Afrika nach Amerika beherbergt haben, wenn sie diese Szene des Aufreißens und Entpackens sehen könnte), ist auch Howard ein ungeschliffener Stein, vielleicht ein Diamant, jemand mit ungeahntem Potential, Glück (oder Unglück) über sich und seine Mitmenschen zu bringen.
Die Gefangennahme Howards ist zugleich Todesurteil wie auch Rettung. Howard findet sein Ende auf dem Boden seines Ladens, die Arme wie Engelsflügel von sich gestreckt, der Mund halbgeöffnet, als würde er vor Glück sein Leben aushauchen.
Das grelle Neonlicht glänzt kalt auf seiner Sonnenbrille. Wir sehen ihn zuerst in der Untersicht: Die Kamera zeigt uns den Erschossenen in der Reflexion der Deckenspiegel. Drei Platten, die den Leib zerteilen und zu einem Triptychon zusammensetzen – der Büßer, der Erfüllung und Vergebung zugleich gefunden hat. Endlich. Die Ekstase eines Juweliers und Wettsüchtigen.
Der Film hat die Deutungshoheit an sich gerissen: Ähnlich wie im Intro von FIGHT CLUB zoomt die Kamera in Unmöglichkeiten hinein. Dort sind es die Gehirnwindungen eines Schizophrenen, hier das Innenleben eines Diamanten, ein plastisches Gebilde aus Licht, Reflexion und Farbe. Leblos, ja, aber beseelt.
Dem Zoom-In folgt der Zoom-Out: Dem Sublimen, der faustgroßen schimmernden Weite des Alls, folgt das verzerrte TV-Bild der Gedärme Howards. Eine geniale Überblendung, die das Allmächtige ins Diesseits holt, und zwar in Howard hinein.
Den Schwebezustand, in dem sich Figur und Zuschauer befinden, erreichen die Filmemacher durch ein sehr kluges Sounddesign, das den Soundtrack mit dem Dialog verschmelzt. Die Gespräche im gesamten Raum sind hörbar, die Musik kommentiert zwar, aber nicht mit Streichern, sondern im Stile eines experimentellen Jazz-Combos.
Mehr davon, mehr solcher Filme, bitte. Dann bringt Netflix den Glauben ans Kino zurück!
Absolute Guckempfehlung!