DER STAAT GEGEN FRITZ

Fritz Bauer und Karl Angermann beim Gespräch (Foto: Martin V. Menke, zero ohne film)

Der Verfolger der Nazis hat keine Kraft mehr, er steht kurz vor der Aufgabe seines Jobs – und auch seiner selbst. Da kommen ihm der unverbrauchte Angermann und der den Alliierten ausgebüxte Eichmann ganz gelegen, die Freundschaft zum jüngeren und die Verfolgung des älteren Deutschen geben Dr. Bauer die Kraft, die nötige öffentliche Konfrontation mit der Geschichte Deutschlands entgegen aller Widerstände anzustoßen.

Überspitzt könnte man die Entwicklung des Protagonisten auf diese Art zusammenfassen. Sieht man von der letzten Einstellung ab, die ein klares Zitat an den omnipotenten Präsidenten aus HOUSE OF CARDS ist, brillieren im Film nicht nur die Schauspieler.

Ja, die Story wirkt etwas überspitzt, ist zu geradlinig im Ausdruck dessen, was sie sein möchte. Gleichzeitig häufen sich Ballast-Szenen, wie eigentlich alles aus Argentinien, das meiste aus Israel, und leider auch das forcierte Coming-Out des Karl Angermann – alles Ablenkungen vom Zentrum der Erzählung.

Und noch ein negativer Punkt:

Natürlich wirkt die Darstellung der Travestie und der Transvestiten, der Homosexualität der fünfziger Jahre in der Bundesrepublik genauso steif und verklemmt wie sie vermutlich damals im öffentlichen Diskurs auch war. Und das als große Überraschung angelegte Ereignis im Nachtclub trifft keinen Zuschauer, der schon ein paar Filme kennt und THE CRYING GAME dazu zählt.

Trotzdem: ein sehr gelungener Film. Die Darsteller glänzen, die Sets sind nicht zu groß und gleichzeitig schön vollgepackt mit Komparsen und heben sich deutlich von weniger budgetierten Fernsehfilmen ab. Als Zuschauer fühlen wir mit den Figuren Enge und Weite, Bedrängnis und Einsamkeit.

Die Inszenierung drängt sich nicht auf und gibt den charismatischen Schauspielern, besonders Ronald Zehrfeld (immer ein Festmahl für gefühlshungrige Augen) die nötigen Großaufnahmen und langen Einstellungen.

Schließlich das Drehbuch: Unter klassisch dramaturgischen Gesichtspunkten kein Meilenstein des deutschen Films, zugegeben. Aber das Gesamtergebnis zählt. Und hier glänzt das Drehbuch mit der Zeichnung einer Figur, die den Darstellern mehr als genug Stoff zum Anecken, Lieben und Hassen gibt. Und die Figuren sind immer das wichtigste!

Die Dialoge können sich auch sehen lassen. Niemand möchte mit den Sätzen beeindrucken, am wenigsten die Autoren selbst. Nie entriss mich der Dialog der fiktiven Welt, und das ist schon sehr gut für die meisten verfilmten deutschen Drehbücher.

(Bescheidenheit ist beim Schreiben eine Tugend, außer wenn Tarantino schreibt.)

Wie hat mich das Werk für sich gewonnen? Das lag an folgenden Punkten:

+ An der Beziehung jung-alt: eine Beziehung, die nicht ausschließlich als Mentor-Schüler-Verhältnis bestimmt wurde, sondern auf Augenhöhe stattfindet; auch Angermann hat Weisheiten, die seinen Vorgesetzten weiterbringen; es ist eine Freundschaft

+ an der Häufung der Hürden: Die Annäherungen gehen nicht zu schnell, das Vertrauen gewinnt man Schritt für Schritt – die graduelle Entwicklung der Beziehungen ist wichtig. (Manchmal reißen die Autoren wild am emotionalen Schalter der Figuren herum, dann kommen Gefühlsidioten wie bei SKYLINES heraus…)

+ weniger ist mehr: Ein Dilemma muss nicht von tausend unterschiedlichen Konflikten begleitet werden; die zwei Stunden füllen sich wie von selbst, wenn die Figuren Raum zum Reagieren, Fühlen und Denken haben – und das wird ihnen hier zugestanden.

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