Beim Erzählen gibt es so etwas wie eine Haltung. Nennen wir es ganz polemisch: „guten Geschmack“.
Anders kann ich folgendes Phänomen nicht erklären.

Bevor Michael Corleone zum eiskalten Mörder wird, braucht es einen rite de passage: Er muss jemanden umlegen.
Die Entscheidung dazu stammt von ihm, der Plan ebenso. Wie entschied sich also Francis Ford Coppola den Vorlauf zum Mord, das Umsetzen der Tat, darzustellen: Wir bleiben hinter der Figur, sehen ihr Gesicht nicht, denn das Gesicht ist in diesem Moment auch nicht wichtig.
Nur die Einstellung: Die Aufsicht, durch die sich Linien bohren und die Figur gefangen nehmen, lässt uns ihre emotionalen Zustand fühlen. Michael ist hin und her gerissen. Aber er wird tun, was er muss.

Eine ähnliche ästhetische Erzähl-Entscheidung fiel mir zuletzt bei der Serie CHERNOBYL auf. Auch hier führt uns der Film die Tatsache, dass alles eigentlich genau so abläuft, wie es sich der Charakter ausgemalt hat – aber dass das genau das Problem ist, in der Ansicht des Rückens vor.

Der erfahrene Soldat hat aus dem Novizen eine Tötungsmaschine gemacht. Der Anfänger befolgt jeden Ratschlag, verhält sich so, wie es sich der Ältere wünscht. Eigentlich läuft alles nach Plan – und zwar restlos.
Die Kamera bleibt für einen Augenblick auf dem breiten Rücken des Ausbilders, als der Junge schon längst abgewandert ist. Und wir verstehen: Dass alles nach Plan verläuft, hinterlässt einen Rest an Ungehorsam, an Aufbegehren, an Unsicherheit, dem sich der Soldat nicht entziehen kann. Die Menschlichkeit droht, verloren zu gehen. Die reibungslose Umwandlung der Befehle in Handlung lässt den erfahrenen Soldaten revoltieren – zumindest auf seine Weise.
Diese Art zu erzählen, zeugt davon, dass man sein Publikum ernst nimmt, dass man ihm Fantasie zutraut und Deutungshoheit zubilligt. Die emotionalen Konflikte werden nicht einzeln ausbuchstabiert, aber angedeutet in verdichteten Szenen. Es werden einprägsame Bilder geschaffen, die ihre Wirkung entfalten.
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