Über die Rollenverteilung in Dialogszenen am Beispiel von AS GOOD AS IT GETS

Filmstill aus der legendären Romantik-Comedy mit Jack Nicholson und Helen Hunt: AS GOOD AS IT GETS (deutsch: Besser geht‘s nicht)

Simon Bishop, ein feinfühliger Maler, liegt im Krankenhaus. Er wurde ausgeraubt und zusammengeschlagen. Ihm geht es den Umständen entsprechend gut. Aber er hat sich selbst noch nicht im Spiegel gesehen, hat sein entstelltes und vernarbtes Gesicht nicht betrachtet.

Eine untypische Szene für das Genre der Romantic-Comedy.

Romanze hört da auf, wo Gewalt beginnt, klar. Trotzdem hat es die Szene in den Film geschafft. Mehr noch: Statt uns mit der grafischen Darstellung von Wunden abzustoßen oder der herzlichen Fantasie-Welt zu entreißen, weist die Szene ähnliche Merkmale auf wie die Figur Simon Bishop: Sie ist feinfühlig, sensibel – und auf den Punkt.

Natürlich darf der Film nicht zeigen, wie Simon Bishop zusammen geflickt wird. Die blutigen Hände der Ärzte gibt es nur im Emergency Room der gleichnamigen Serie zu sehen. Und da ist der Erzählton ein gänzlich anderer.

Aber die Szene stellt einen wichtigen Moment dar: Der Maler, ein Mensch, bei dem der Sehsinn stärker ausgeprägt ist als bei den meisten, möchte sich selbst betrachten. Er erschließt sich die Welt über das Sehorgan. Die Wunden und das Trauma werden, zu einem wesentlichen Teil, erst im Augenblick der Betrachtung für ihn greifbar wie auch verständlich.

Diesen Moment gilt es aufzubauen. Die Selbstbetrachtung eines Malers gilt es als Höhepunkt der Szene zu verkaufen.

Kurz: Wie wird die Bedeutsamkeit der Szene dramatisch aufgebaut?

Natürlich durch die weiteren Anwesenden. Aber anders als gedacht: Wie leicht könnte einfach ein Arzt dem Patienten ein Spiegel vorhalten und ihm die Wunden zeigen. Hier übernehmen jedoch die Freunde/Geschäftspartner die Funktion der Kassandra, die Botschafterin der üblen Nachricht. Das vertieft die Szene emotional.

Schauen wir uns genauer die Rollenverteilung der drei im Raum Anwesenden an. Es fällt auf, dass jeder eine klare Position artikuliert und den Grundaffekt bis zum Schluss der Szene beibehält.

Fern ihrer psychologischen Motivation, ihrer Herkunft, ihrer Backstory im Plot usw. spielen die beiden Figuren eine Rolle für das Aufrollen der Trauer und Verarbeiten der Tat. Sie dienen Simon.

Simon Bishop wirkt stoisch, als würde ihn das alles nichts angehen. Man könnte auch sagen, er ist „in denial“ – ein ungesunder Geisteszustand, aber oft der erste Moment im langen Prozess der geistigen Verarbeitung.

Jackie weint unablässig, hält sich die Hand vor den Mund, putzt sich die Nase und schaut lieber weg als Simon in die Augen. Sie flennt.

Frank Sachs schreit auf, klatscht sich – Energiebündel wie er ist – in die Hände, setzt sich hin, steht auf, zieht die Jacke aus, schmiedet Pläne, spricht Simon gut zu. Eine eher klassisch den Männern zugeordnete Art der emotionalen Verarbeitung von Ereignissen.

Die Reaktionen auf das Unglück sind auffällig stark emotional: Trauer und Wut. Der Ausbruch der Emotionen wird an die beiden Freunden überwiesen. Dadurch, dass die Emotionen vorgelebt werden, muss Simon Bishop diese Emotionen nicht alleine durchleben.

Was erreicht somit diese Szene?

Es ist nicht nur Humor.

Sondern auch Erzähl-Effizienz.

Wir brauchen nun keine Szenen mehr, in denen das Opfer traurig aus dem Fenster schaut, traurig im Badspiegel mit dem Zeigefinger über Augen und Wangen fährt. Wir brauchen keine Szene, in denen er unvermittelt Vasen in der Wohnung zertrümmert und heulend zusammenbricht. All diese Klischees, die in etlichen Filmen fortleben, verbannen wir aus AS GOOD AS IT GETS durch diese eine kurze Szene.

Dadurch, dass die Szene die Gefühlsmomente an drei miteinander in Beziehung stehende Menschen verteilt, würdigt sie das Trauma der Tat. Sie gibt der Figur einen Moment, um den Ausbruch der Gewalt zu verarbeiten.

Zugleich aber weicht die Szene nicht vom Tonfall einer Romantic-Comedy ab. Einfühlsam und herzlich ist sie. Nicht hoffnungslos. Und verdammt lustig.

Und zuletzt: Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus müssen wir uns nicht weiter mit Simons Trauma-Verarbeitung aufhalten. Wir wissen, wie hart es für ihn ist. Die Figur bekommt Screen-Time und damit wird sie nicht für den Plot geopfert. Und wir Zuschauer dürfen uns von der nächsten Szene mit ihm überraschen lassen, welche Wendung die Handlung noch nehmen wird.

#asgoodasitgets #dialog #drehbuch #dramaturgie #schreiben

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