
Die dritte Staffel von STRANGER THINGS, das Tentpole von Netflix, hat sich mit überraschend viel Selbstreflexivität in Schale geworfen.
Es steht dem Stoff gut.
+++ Wenige leichte Spoiler folgen +++
Billy wird entführt und dient von da wie ein unmündiger Sklave dem Mind Flayer. Der Meister hat eine Nachricht für ihn: „Build, what you see.“ Billy versteht die Botschaft nicht, aber das ist auch für den Verlauf der Story gar nicht mehr wichtig.
Doch für die, die gerne eine zweite Ebene hinter dem Offensichtlichen wahrnehmen, bedeutet es viel.
Die Aufforderung beinhaltet einen ästhetischen Imperativ für die gesamte Serie. Mehr als die meisten TV-Shows ist Nostalgie eines der Hauptattraktionen von STRANGER THINGS. Es geht nicht darum, eine vergangene Zeit so akkurat wie möglich auferstehen zu lassen. Sondern darum, die 80er Jahre in der amerikanischen Provinz als Sehnsuchtsort zu stilisieren. Erwachsene verlieren schnell ihr Talent, die Wirklichkeit zu verklären. Doch Kinder und Heranwachsende artikulieren in Filmen am überzeugendsten das Begehren, das die Oberfläche dem Inhalt entspricht, dass das, was sich uns zeigt, auch das sein soll, was es ist.
Es ist eines der Stärken von STRANGER THINGS, dass sich die Perspektive von Kindern mit dem Begehren der erwachsenen Nostalgiker verschränken.
Anders gesagt: Die nagende Frage nach der Ur-Differenz von Schein und Sein stellt sich weder für Kinder noch für Nostalgiker.
Trotzdem bewahrt STRANGER THINGS die Kehrseite des schönen Scheins auf und schöpft ihre Faszinationskraft aus. Das, was sich hinter der Oberfläche verbirgt, kommt aber nicht als existentieller Zweifel daher. Sondern als Grauen, als Horror, der den Körper trifft, ihn zerreißt, auseinander nimmt, neu zusammensetzt usw.
Hinter der heilen Oberfläche tun sich Wunden auf. Das ist eine banale Feststellung, die hier gleichermaßen Anwendung in der psychologischen Entwicklung der Figuren wie auch im Body-Horror findet.
Was kann also Billy bauen?
Mit Billys Hilfe kann sich der Mind Flayer Tiere und die Bewohner der Kleinstadt einverleiben. Er gewinnt an Körpermasse und wächst zu einem Monster heran. Das Monster ist ein Abbild des Ungetüms, das wir in der zweiten Staffel durch die Dimensionspforte beobachten konnten.
Körper zerlegen sich, setzen sich wieder zusammen. Natürlich auf eine ungemein hässliche, widerwärtige Weise. – Wie denn auch sonst: die Kehrseite der glitzernden Oberfläche darf für Nostalgiker niemals ästhetisch schön sein. Die Serie löst diese thematische Prämisse gekonnt ein.
Aber der Bau!-Imperativ, spricht auch auf einer anderen Ebene zu uns: Es wiederholt die Forderung der Kreativität, das Zusammenspiel der die Elemente trennenden Analyse und der sie neu kombinierenden Idee des Schöpfergeistes. Kreativität wird von je her dem Schöpfertum von Kindern zugeschrieben. Auch hier eine schöne thematische Engführung und Gegenüberstellung zwischen dem aufgeschlossenen Forschen der Kinder und der saftig-glitschigen Auferstehung des Bösen.
Das Bauen schießt zuletzt auf die Serienschreiben selbst. Denn, was anderes ist STRANGER THINGS als – und das ist seit Beginn sein USP gewesen – als ein Mischen von Genre-Tropen, Filmstilen und -Versatzstücken, die alle im Kino und in den Filmen der 80er Jahre wurzeln?
Nicht von ungefähr wiederholen Autoren seit Jahrhunderten, dass es nichts Neues unter der Sonne gebe.
Diese Tradition führt STRANGER THINGS 3 elegant fort: Diesmal fließt der Body-Horror aus dem klassischen Horror der amerikanischen Großstadt: die Unterwanderung durch Spione, die Verschwörung im Herzen der lieben Kleinstadt. Die Erzählung – der Oberflächeneffekt – schreibt diese Verschwörung auch tatsächlich in den Plot ein. Wo INVASION OF THE BODY SNATCHERS in 1956 die unheimliche Verschwörung der Kleinstädter nur umständlich als Metapher nutzen kann, kann STRANGER THINGS sie buchstäblich vorführen.
Der Nostalgie-Effekt und die der Serie immanente Referenzialität lässt uns die eigentlich lächerlich anmutende, absurde und unglaubwürdige Verschwörung im Rahmen der Geschichte plausibel erscheinen.
Die Autoren finden sich also im dem Ausspruch „Build, what you see“ wieder. Träumen nicht die meisten Filmschaffenden davon, einmal einen Film zu machen wie X, einmal eine Szene zu drehen wie Y und eine Figur zu schreiben wie Z? Für STRANGER THINGS ist dieser Schöpfungsimpuls ein wesentliches Konstruktionsprinzip.
Filme wie INVASION OF THE BODY SNATCHERS von 1978 sind ebenso Leitpunkte wie ALIENS oder POLTERGEIST. Eine wunderbare Liste findet sich hier. Ein gelungenes Wiederauflage des kleinstädtischen Body-Horror-Genres gelang zuletzt James Gunn mit SLITHER (2006) – und auch da, nur in Kombination mit einem weiteren Genre: der Komödie.
Abschließend: STRANGER THINGS begnügt sich nicht damit, eine packende Geschichte mit ansprechenden Figuren zu erzählen. Das World-Building der Serie ist die eigentliche Hauptattraktion: die Verschränkung des kindlich-gutgläubigen Entdeckergeistes einer Epoche mit der grauenhaften Erkenntnis, dass hinter der Fassade etwas Böses lauert.
Umgekehrt gilt für die STRANGER THINGS Welt auch: Albträume werden wahr, wenn sie nur genügend Grauen und Angst beim Träumenden erzeugen.
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Absolut geile Serie und die 3. Staffel hat mir auch wieder sehr gut gefallen.