
Ich mag gute Rom-Coms. Sie sind verdammt selten. LONG SHOT, mit Seth Rogen und Charlize Theron in den Hauptrollen, hat das Potential ein Klassiker des Genres zu werden.
Was zeichnet eine gelungene zeitgenössisch relevante Romantic-Comedy aus? Die besondere chemistry der Schauspieler vor allem, natürlich. Casting-, Schauspiel und Regie-Fragen also.
Aber wie sieht das auf der Ebene der Erzählung aus?
Die Geschlechterrollen sollen zeitgenössisch sein, klar. Einem Ritter, der eine Frau aus einem Turm rettet, möchte heute niemand mehr zugucken.
Genauer: Plotstruktur. Gibt es Vorgaben für Romantik-Comedy? Natürlich. Sie sind Legion. Es gibt einen Kanon an Filmen, die unsere Vorstellung Romantik-Comedy prägen. WHEN HARRY METS SALLY gehört unweigerlich dazu.
Zwei Menschen, die eigentlich (aufgrund ihrer gegensätzlichen Persönlichkeit!) nicht zusammenkommen dürften, kommen doch zusammen. Okay, boy-meets-girl, das ist eine einfache und banale Prämisse.
Also weiter: Die Liebe verändert das Leben der beiden. Mehr noch: Es geht nicht nur um ihre Liebe mit all seinen Intensitätsstufen. Rom-Coms sind meist kein Teenie-Filme. Es geht um mehr als nur den ersten Kuss.
Durch die Romantik werden Persönlichkeiten verhandelt, Themen aufgerollt, Traumata behoben, Gegner in die Schranken verwiesen.
Es geht – wie es in den Liebesbeziehungen nun mal ist, die der Bezeichnung würdig sind – um alles.
Hier mal eine pragmatische Anleitung für eine Rom-Com-Struktur – eine Bauanleitung zum Selbermachen:
Ich beschränke mich auf eine weniger bekannte und schöne Liste, die ich im Podcast Scriptnotes gefunden habe (Folge 225). Die britische Autorin Tess Morris hat dazu ein paar Stichpunkte notiert. Die sechs Punkte orientieren sich chronologisch lose an der populären Acht-Sequenz-Struktur.
Punkt eins: Sie/er hat die Hoffnung auf Liebe aufgegeben, bzw. etwas fehlt in seinem/ihrem Leben. Das Privatleben ist off-balance – zu viel Arbeit, fehlende soziale Kontakte, falsche Ansichten usw.
Punkt zwei, das Meet-Cute: Das erste Treffen muss süß und besonders originell sein. Keine zufällige Begegnung auf der Straße. Sondern eine kleine emotionale (und ereignisreiche) Episode für die zukünftigen Partner. Schön ist es, wenn die Begegnung den Zuschauer zum Lächeln bringt.
Punkt drei, das Ende vom ersten Akt, die sexy complication: sie müssen zusammenbleiben, aber es müssen die ersten großen Hindernisse ihnen in den Weg geworfen werden. Große Steinblöcke, über die sie (zusammen) stolpern. Und am besten keine externen, sondern emotional bedeutsame, die Persönlichkeit der beiden betreffende Hindernisse.
Punkt vier, der Midpoint: Hier sollte unmissverständlich auch dem dümmsten Zuschauer klar geworden sein, dass die beiden sich lieben, dass es die Liebe des Lebens ist, mit der sie gerade zu tun haben. Nun muss die Geschichte langsam in eine neue Richtung gehen. Das stille Sich-Mögen reicht nicht mehr aus, ihr Zusammensein gibt ihnen einen Einblick in das, was Glück bedeutet. Aber auch, was es sie kosten kann.
Punkt fünf, die falsche Entscheidung: Am Ende vom zweiten Akt trifft eine oder einer der beiden eine falsche Entscheidung. Die Paar-Beziehung endet oder wird von bösen Mächten stark bedroht.
Punkt sechs: Wie kommen die beiden doch noch zusammen? (Das Klischee: Jemand rennt zum Flughafen, um die Frau/den Mann vom Einsteigen in den Flieger abzuhalten). Hier gilt es eine originelle Lösung zu finden. Als Klimax haben sich die Szenen bewährt, wo zuerst der eine der Partner dem anderen seine Liebe offenbart, der Partner ihn abserviert, aber dann bei einer Pressekonferenz oder einer öffentlichen Veranstaltung ihm/ihr seine Liebe gesteht. Das Eingeständnis betrifft dann natürlich nicht nur die Liebe, sondern zieht berufliche und private Konsequenzen mit sich, verändert das Leben des Geständigen. (So gesehen bei NOTTING HILL, BE MY MAYBE, LONG SHOT und sehr vielen anderen Rom-Coms.).
Ich habe viel über Struktur geschrieben. Deshalb der abschließende Hinweis: Das Wichtigste bei Rom-Coms sind nicht nur die Figuren, sondern die Art ihrer Beziehung. Wie sie aufeinander reagieren und wie sie alles tun, um nicht ihr Glück anzunehmen, unterscheidet die Ramsch-Komödie vom Klassiker. Originalität winkt als Belohnung für die, die einzigartige Charaktere in bedeutsamen Beziehungen schreiben können.
Und LONG SHOT geht so sorgsam und vor allem: einfühlsam mit den Charakteren um, dass sich die Struktur nicht aufdrängt, sondern wie von selbst in die Beziehung der Figuren tritt. So wirkt es genau richtig.
PS: Auch Netflix hat hier etwas zu bieten: BY MY MAYBE ist würdig, in der Hall-of-Fame der Romantik, die PRETTY WOMAN unweigerlich anführt, aufgenommen zu werden.
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