
Selten hängt ein Genre so stark mit der Hauptfigur zusammen. Wenn sich im Film ein Pate tummelt, dann haben wir es mit größter Wahrscheinlichkeit mit dem Mafia-Genre zu tun.
Interessant ist, wie diese Figur den gesamten Film oder die Serie mit ihrer spezifischen Persönlichkeit prägt.
Ich rede hier nicht von den Eigenschaften: jähzornig, nett, lustig usw. oder von ihrer individuellen Haltung. Sondern vom Thema der Figur, das auch Thema des Films wird.
Das Thema der Serie und des Films spiegelt sich in der Hauptfigur wider. Oder umgekehrt: Die Hauptfigur gibt der Serie oder dem Film das Thema vor.
Deutlich wird es, wenn wir Tony Soprano von der gleichnamigen HBO-Serie mit dem nicht weniger legendären Michael Corleone von THE GODFATHER vergleichen.
Die Art, wie sie mit Problemen umgehen und lösen, bestimmt die Handlung. – Es sind Bad Boys, klar, sie legen Leute um, darunter befinden sich auch mal die eigenen Familienmitglieder. Aber wichtiger ist, WIE sie das machen oder machen lassen. Welche Entscheidungen sind die ausschlaggebenden, welche Situationen lassen sie über sich hinaus wachsen? Wenn das Prinzip der Figur klar ist, liegt hier eine Quelle der Faszination: Eine Unschärfe in der Entscheidungsfindung, die Zuschauer fesseln kann, wenn sie richtig erzählt wird.
Was meine ich damit?
Das Mafia-Genre gründet ihren Zuschauer-Reiz auf der Figur des Bosses.
Kann der Patriarch all die amoralischen Entscheidungen treffen, die er treffen muss und möchte, und dabei seine menschliche Würde bewahren? Wie böse ist man, wenn man Böses tut?
Diese Fragen stellt vor allem THE GODFATHER – PART 2. Michael muss grausame Entscheidungen treffen. Der Film führt ein Eskalationsprinzip ein: Was wird Michael all die Grausamkeit am Ende kosten, welchen Pyrrhussieg wird er einfahren? – Der Preis ist die absolute Einsamkeit des Herrschers. Geliebt von niemandem, die Familienbande sind nun Geschäftsbeziehungen, die nur so lange gültig sind, wie sie sich monetär rechnen.
Anders bei Tony Soprano. Er watschelt quicklebendig zwischen den Mitgliedern seiner Gang, das gemeinsame Essen im Hinterzimmer des Strip Clubs ist Quality Time für ihn. Er ist ganz anders als Michael. Denn er hat verstanden, dass sich die Mafia-Familie genauso auf Blutsbande wie auch Geschäftsbeziehungen gründet. Anders als Michael Corleone kann Tony die eigene Familie von seinen Geschäften nicht reinhalten. Er versucht es, das ist menschlich, aber im Gegensatz zu Michael wirken die Versuche halbherzig.
Tony berechnet einen Preis auf jede Gefälligkeit, die er erweisen muss. Alles kostet jemanden etwas und bringt ihm Geld ein. Das ist sein Prinzip: Familie ja, aber der Preis muss stimmen.
Dieses Prinzip wird jedoch bei THE SOPRANOS nie explizit ausgesprochen. Die Autoren machen es klug: Sie nutzen die Profitgier ihres Helden, um warme Akte der Nächstenliebe skeptisch zu durchbrechen. Tony erweist den Schwachen einen Gefallen – sie freuen sich, bevor sie merken, dass sie ihm dafür einen Preis oder Gefälligkeit zahlen müssen.
Das ist Tonys Leitmotiv.
Das ist das Prinzip der Figur. Und diese Art, wie er mit nahen und entfernten Familienmitgliedern umgeht, zeigt, dass Tony die Beziehungen in der amerikanischen Mafia besser verstanden hat als der kaltblütige Michael.
Wenn das Prinzip der Figur klar erkennbar ist, aber dem Zuschauer nicht vorbuchstabiert wird, dann erhöht sie den Mehrwert der Erzählung.
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