Horkheimer und Dick Cheney im Kino – VICE

VICE ist keine Biografie, obwohl der soeben erschienene Kinofilm sich alle Mühe gibt, so faktisch zu sein wie möglich. VICE ist eher ein Bilderbuch, eine Illustration eines der Hauptthemen der Kritischen Theorie im Gewand einer Erzählung um absolute Macht, Korruption, Pragmatismus und Despotie.

VICE ist Dialektik im Gewand der Mainstream-Kultur. (Nicht nur auf der Ebene des Schnitts, die eines der Prinzipien der Dialektischen Montage nach Eisenstein einzulösen versucht.)

Wir begleiten den berüchtigten Dick Cheney, einen der Öffentlichkeit in seinem Treiben so gut wie unsichtbaren Diener der Macht. Was genau die Macht ist, wo genau sie sich in Washington befindet, als sie sich langsam vom Willen des Volkes losgelöst hat – das sind Fragen, die der Film aufwirft.

Ähnlich wie bei THE BIG SHORT gelingt es Adam McKay, ein heterogenes Phänomen, das an vielen losen Fäden hängt, auf das Wirken von bestimmten Akteuren und Stimmungen zu reduzieren – und damit als Verflechtung zu konstruieren.

Anders als bei THE BIG SHORT gibt es einen Voice-Over-Narrator, der diesmal aber eine tragende Rolle im Ganzen spielt. Und es uns erheblich erleichtert, mit der Fülle an Schnitten, Cut-Aways, Zeitsprüngen und Szenenwechseln mitzuhalten.

Der Film lebt im Schnitt. Die Szenen sind stark „gerafft“, oft wird kurz vor dem Abschluss der Szene in eine neue geschnitten, schwerfällige establishings shots sind einem ungebundenen Schnittrhythmus gewichen. Das distanziert von der Handlung, führt die Szenen vor als das, was sie sind: Szenen.

Adam McKay scheint ein Schüler der Frankfurter Schule zu sein. Die Eröffnungsmontage wiederholt das Mantra der von Horkheimer und Adorno aufgestellten Konzepts der Kulturindustrie: Arbeit macht die Bürger unmündig, sie suchen in der Zerstreuung ihr in der Arbeitszeit verloren gegangenes Selbst.

Entfremdungseffekt ist McKays zweites Instrument im Errichten einer Welt, die dem Zuschauer etwas vorführt und zugleich sich selbst als filmische Konstruktion zeigt. Wer hier an Brechts Theater denkt, hat Recht.

Worum geht es aber schlussendlich in VICE, was ist das „Ziel“ der Narration, wozu erzählt uns ein Erzähler die Geschichte über einen Mann, der sein Herz verliert?

Die Antwort, auch ein starker Verfremdungseffekt, kommt in Form einer Allegorie. Zu Beginn fährt Dick Auto, er ist jung und schwer alkoholisiert. Ein Polizist hält ihn an, verhaftet ihn.

Diese Szene sollten wir allegorisch verstehen. Wir sind der Polizist. Wir wollen, dass Dick, der sich nicht an die Regeln hält, zur Rechenschaft gezogen wird. Und zwar vor dem Gesetz. Der Film entwirft die Anleitung dazu. Und genau wie der Polizist im Kampf gegen Trunkenbolde sind wir gezwungen, einzugreifen, denn sonst ist die Zukunft in Gefahr (- z. B. suchen eingeblendete Texttafeln stets die Verbindung zu Trump.)

Selten war Mainstream-Kino der Frankfurter Schule so nah.

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