Little Miss TV

Schauen wir uns kurz die Eröffnungssequenz von LITTLE MISS SUNSHINE an. Es fällt auf, dass der Film auf die ersten vier Szenen eigentlich verzichten könnte. Die Szenen liefern keine wesentlichen Informationen und das erzählerische Input, das sie bieten, findet sich auch in den folgenden Szenen – und das sogar besser: mit wesentlich mehr Konflikt, mehr Human Drama. Warum ist es aber trotzdem eine der besten Eröffnungsmontagen, erzähltechnisch gesehen, die ich kenne?

Eigentlich könnte die Handlung mit der Fahrt von Sheryl zu ihrem Bruder im Krankenhaus beginnen. Tut er aber nicht. Stattdessen sehen wir a) Olive vor dem Fernseher – sie studiert Jubelschreie ein, b) Richard seine Thesen vor einem Publikum präsentieren, das lieber woanders wäre, c) sehen einem Rentner beim Koksen zu und d) erleben den Nietzsche-Teenager Dwayne bei seinem täglichen Workout. Dann beginnt Sheryls Telefonat und Autofahrt zu ihrem Bruder.

Die Montagesequenz bietet einen großartigen Einstieg in das Thema (sic!) des Films. Es geht um Gewinnen-Verlieren, Weiterleben, gewinnen als Verlierer, Schwäche und Stärke angesichts von Lebensentscheidungen, sich dem Hedonismus beugen oder asketisch an seinem american dream festhalten usw. Jede der vier Figuren bietet dazu eine Facette und die Facetten bauen chronologisch aufeinander auf – ganz wie ein musikalisches Thema: a) Olive studiert das Siegen ein, den Jubelschrei, das Aufsichziehen der Aufmerksamkeit des Publikums, b) Richard steht auf einer Bühne, trägt als Durchschnittsmann Thesen über das Siegen vor einem minimal kleinen Publikum vor, c) der Rentern gibt sich der Selbstsucht hin, entflieht dieser miserablen Welt mit Koks, einer euphorisierenden Droge, und d) Dwayne schließlich gibt sich ganz asketisch und verbissen den Vorbereitungen zum Podium-Besteigen hin, dem Training, das am Ende ihm den gewünschten, von allen gewünschten Erfolg bringen soll.

Alle vier Figuren sind radikal isoliert, sie leben in ihrem jeweiligen Raum, in ihrem Zimmer, und erst Sheryl, die ihren Suizid-gefährdeten Bruder ins Haus schleppt, öffnet die Zimmer aller Familienmitglieder. Erst dann merken wir: diese vier Menschen, die wir isoliert und alleine beobachtet haben, gehören zusammen, sie werfen als Figuren Licht auf dasselbe Thema.

In der Hinsicht ist die Eröffnungssequenz ein „Einstimmer“ fürs Publikum. Und das sind oft die besten Eröffnungen.

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