Der miesepetrige Potatoe-Head bekennt sich zu diesem Satz, als er, den Umständen geschuldet, die namensgebende Kartoffel gegen eine frische Gurke eintauschen muss. Die Rede ist von TOY STORY 3. Der Dialog ist für einen Familienfilm wirklich gut. Mehr als der stellenweise pointierte Dialog hat mich aber die Einheitlichkeit der Welt überrascht – die Regeln der Welt, die scheinbar mühelos und unauffällig die Geschichte takten, strukturieren und eine befriedigende emotionale Erfahrung ermöglichen.
Es gab ein umproduziertes Script von TOY STORY 3. Einige der Elemente vom ursprünglichen Script finden sich im Film wieder, kommen aber gänzlich anders in der neuen Storyline unter. Der erste Story-Entwurf (der genauso wie auch das verfilmte Drehbuch unzählige Rewrites hatte) hörte sich so an:
After Buzz Lightyear inexplicably started to malfunction, Andy’s mom sent him back to the factory in Taiwan where he was made in the hopes that they would fix him. However, upon learning that a worldwide recall had been issued on all Buzz Lightyear toys and that Buzz would merely be replaced, Woody, Jessie, Hamm, Mr. Potato Head, Rex and Slinky all shipped themselves to Taiwan and set out to rescue him. Meanwhile, at the factory, Buzz subsequently met a number of other recalled toys, from whom he would have learned that all useless toys got crushed by a giant machine, which subsequently would’ve led to him attempting unsuccessful escapes. Elsewhere Woody and the gang got found by a human and taken to a daycare center which they were eventually able to escape using a vehicle that they constructed out of a shopping cart, a vaccum and some balloons. Although Buzz ended up being partially injured by the toy-crushing machine, the other toys made it to the factory in time to save him.
Hier findet Ihr tolle Grafiken und Moodart dazu.
Die Elemente, die daraus Michael Arndt für die Verfilmung gezogen und in seinem eigenen Drehbuch verwendet hat, sind u. a. die Fehlfunktion von Butz Lightyear, die Vernichtungsanlage, die Fluchtversuche aus geschlossenen Einrichtungen, die Kindertagesstätte.
Die Storyline des alten Drehbuchs legt die Struktur einer Schnitzeljagd nah. Der Film aber hebt das Abklappern von Orten und Lösen von Problemen auf eine emotionale Ebene, die den Zuschauer nicht kalt lassen kann.
Die Welt von TOY STORY 3 hält sich durch wenige aber stringente, eindeutige und bindende Regeln am Leben. Wichtige, wesentliche Elemente werden verdichtet und wiederholt, um die Einheitlichkeit zu schaffen, die uns eine emotional befriedigende Storyline bietet. Die Story (extern) sollte in den inneren Wünschen und Ängsten der Figuren nachhallen – das ist der allgemeine Anspruch, TOY STORY 3 löst ihn ein.
Ich denke hier zum Beispiel an die Vernichtungsanlage oder den Einsatz der Gruppe für eins seiner Mitglieder. Diese Elemente erfahren eine ganz andere Bearbeitung und Verdichtung als im Ausgangs-Drehbuch und bauen somit eine gänzlich eigene emotionale Welt auf – und damit auch ein Portal zum Innenleben der Figuren, die ein unheimlich gesteigertes Eigenleben entwickeln. Sie sind menschlicher als es Menschen jemals sein könnten.
Hier zwei Elemente als Beispiel, die mir aufgefallen sind:
- die Müll-Metapher: Die Spielzeuge fürchten sich vor den Müllsäcken, vor der Entsorgung. Mit der (fälschlichen) Entsorgung fangen ihre Abenteuer an, mit der verhinderten Vernichtung in einer Mülldeponie findet der Film seinen Höhepunkt. Müll als Objekt der Furcht wird für die Motivation der Spielzeuge verwendet und treibt die Entscheidungen voran. Die Spielzeuge wollen Anerkennung finden und nach langen Dienstjahren nicht im Müll sondern oben, „im Himmel“ des Dachbodens ihren Ruhestand begehen. Folglich sind es Müllwagen, die die Spielzeuge von einem zum nächsten Ort transportieren, und über den Müllschacht versuchen sie vor den Bösen zu fliehen. Immer sind die Figuren ganz nah am Müll, kurz davor entsorgt zu werden, ihre Angst ist stets präsent und externalisiert. Das stiftet Einheitlichkeit und Kontinuität über die unterschiedlichen Sequenzen hinweg.
- die Gruppendynamik: Woody und der Kuschelbär sind beide Anführer ihrer Gemeinschaft. Der eine ist gut, der andere böse. Doch sind sich beide Figuren sehr ähnlich, sie sind von denselben Entscheidungen motiviert, sie haben ähnliche Ziele. Einzig der Umgang mit ihren ehemaligen „Meistern“ (ihrem Besitzer) macht den Unterschied – und zwar einen gewaltigen. Die Figuren werden als Anführer von kleinen Gruppen vorgestellt, es fällt leicht, eine Parallelität zu konstruieren: Anführer ähneln sich, aber in den Situationen, auf die es ankommt, unterscheidet sich der Böse vom Guten. Handlungen sollen im Drama den Charakter entblößen – bei TOY STORY 3 funktioniert das blendend. Durch die Gegenüberstellung der beiden Anführer-Figuren ist gleichzeitig die vielbeschworene thematische Einheit des Dramas gewahrt, und zwar auf einer emotionalen wie auch metaphorischen Ebene.