In einem meiner Lieblingsfilme aus meiner Kindheit steht ein Professor mit dreckiger Lederjacke, Lederhut und Peitsche in einem Dorf in Indien und hört dem Dorfältesten zu, wie dieser vom Unglück berichtet, das die Dorfbewohner heimgesucht habe.
Die Szene ist einfach gehalten. An Informationen ist nicht viel rauszuholen, uns werden Details präsentiert, wird eine wenig überraschende Backstory geliefert. Die Szene ist bewusst einfach gehalten, denn:
Spannend ist natürlich das, was nicht gesagt wird, aber im Schauspiel zur Sprache kommt. Das Gesicht Harrison Fords, wie er leidet, wenn er hört, was im Dorf vorgefallen ist.
Wie wurde also dieser Moment eingefangen – wie wurde sichergestellt, dass a) die Zuschauer von der bloßen Informationsvergabe nicht gelangweilt werden und b) der Bericht des Dorfältesten Mitleid und Anteilnahme bei Indiana Jones erweckt – und dies sichtbar für den Zuschauer?
Mitleid filmisch zu zeigen ist schwierig, da es eine zutiefst innere Emotion ist. Wenn wir Mitleid empfinden, ist nicht viel im Gesicht zu sehen. Und wenn man es im Film doch zeigen will, kann es mitunter erbarmungswürdig werden: Das Schauspiel kann lächerlich wirken, wenn der innere Prozess schlecht etabliert wurde.
Die Szene im Dorf aus INDIANA JONES – TEMPEL DES TODES verbindet die Ankunft der Abenteurer mit ihrem Aufbruch ins Abenteuer. Die Szene muss schnell und pointiert Informationen vermitteln und gleichzeitig Indiana Jones’ Anteilnahme anschaulich machen.
Hier haben sich die MacherInnen etwas Schönes einfallen lassen: Der Dorfälteste spricht und Indiana übersetzt für seine beiden Gefährten. Dies erlaubt somit zwei Sachen: a) Die Informationen sind leicht verständlich auf Englisch (wichtig für Blockbuster) und b) Indiana Jones kann „direkt“ mit dem Gesagten interagieren. Er tut etwas, er übersetzt – eine Handlung ist schon einmal etwas Gutes, die Figur ist Handlungsträger und kein passiver Zuhörer. Gleichzeitig aber kann er dem Gehörten und Wiederholten durch sein Schauspiel Sinn hinzufügen. Alles Gehörte geht durch Indiana. Er hört anfangs fast stoisch zu, übersetzt das Leid der Bevölkerung, die Gefährten fragen aufmerksam nach. Aber am Ende (der Höhepunkt der Szene) ist er es selber, der nachfragt, ob er soeben richtig gehört habe: Sie haben die Kinder entführt?
Und that’s the point der Szene: Unheimliches Grauen hat das Dorf heimgesucht, das Bedrückendste aber ist die Entführung der Kinder. Und natürlich geht es dann vor allem um sie, schon die nächste Szene fängt mit einem Kind an, das den bösen Menschen entwischt ist.
Das Schicksal des Dorfes geht Indiana Jones nah – die Szene handelt genau davon. Steven Spielberg hat die Szene „perfekt verstanden“ und spitzt sie großartig mit seiner Inszenierung auf diese Lesart hin zu.