Harvey Weinstein – zwei Filme, eine Notiz

Wann werden Filme zu Zeitzeugen? – Wie sie es werden, ist klar: überraschend. Der Zeitpunkt aber, in dem sie uns mit einem Kommentar zu einem Thema überraschen, liegt nicht in ihrer Macht.

Der pure Zufall will es, dass Dominik Grafs Tatort DER ROTE SCHATTEN (z. Zt. in der ARD Mediathek) und Noah Baumbachs Meisterwerk THE MEYEROWITZ STORIES (auf Netflix) ein Kommentar zu dem Skandal Harvey Weinstein liefern. Ein Kommentar, geschachtelt in zwei Perspektiven.

Dominik Graf führt in gewohnter, souverän überhöhter Manier, die Trash-Kultur und Genre-Pulp streift, einen Frauen-Verachter, -Ausnutzer und -Misshandler vor, der Frauen mit allen Mitteln gefügig macht. Gedeckt wird er von anderen, die sich viel versprechen, wenn dieser Mann von der Justiz nicht an den Pranger gestellt wird. Die Parallele zu Harvey Weinstein im System Hollywood ist eklatant, bestimmt nicht intentional, da der Film weit vor der Bekanntgabe des Skandals fertiggestellt wurde.

Ähnlich ist es bei Noah Baumbach. Er geht einen Schritt weiter, wenn es um sexuelle Nötigung und Missbrauch geht, und ändert die Perspektive. Es geht um die Sicht des Opfers und die Möglichkeit der Wiedergutmachung. Die Erfahrung des Opfers aber wird radikal von jeglicher Rache-Fantasie getrennt, die sich ereignen könnte.

Jean Meyerowitz erzählt ihren Brüdern von einer demütigenden Erfahrung, in der sie sich allein gelassen gefühlt hat (und es in der Tat auch war): Ein älterer Mann hat sich ihr entblösst und vor ihr onaniert. Die sexuelle Nötigung wiegt schwer, da sie noch ein Kind war. Sie erzählte es den Erwachsenen, den Personen, die sie beschützen sollten, aber sie wurde ignoriert, die Erfahrung kleingeredet.

Laut den Berichten in den Medien stießen alle Frauen, die von Harvey Weinsteins despektierlichen Manieren berichten wollten, auf einen ähnlichen Schweigenspakt in der Führungsebene Hollywoods.

Der Film ermöglicht durch die Figur Jean Meyerowitz einen ungewohnten Zugang zu der Art von Vergehen, die im Fokus sind. Dem Opfer wird seine Perspektive der radikalen Andersartigkeit gewährt, die Erfahrung, die man in dieser Situation macht, wird nicht kleingeredet oder versucht, auf einen gemeinsamen Nenner mit dem Publikum zu bringen.

In dieser Hinsicht überrascht Jean Meyerowitz nicht nur als Zeitzeugin, sondern auch als Figur mit einem klaren Statement zu der Art und Weise, wie mit allen Beteiligten solcher Vergehen umgegangen werden sollte. Ein politisches Statement in einem ästhetischen Kommentar.

 

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