Wie stellt man die Welt des Scheins, des Pomps und der aufgeblasenen Egos bloß? – Heute, nicht nur durch die Präsidentschaft Trumps, ist die Frage aktuell wie eh und je.
Man tut es nicht, indem man den Zeigefinger hebt, das ist klar, und Martin Scorsese weiß das genau. Sein Team und er entscheiden sich in THE WOLF OF WALLSTREET für einen anderen Ansatz.
Bloßstellen durch Vorführen, das ist das Motto. Dazu braucht es eine Gemeinschaft, die durch Werte, Vorstellungen und Handlungsziele zusammengehalten wird. Das sind bekannte Muster aus GOODFELLAS oder CASINO oder MEAN STREETS – ein paar Beispiele aus dem Werk Scorseses. Die Gemeinschaft soll gezeigt und als fassbare und gleichzeitig in sich differenzierte Masse zur Anschauung kommen.
Scorseses Meisterleisung ist, dass er dies verdammt gut hinbekommt.
In THE WOLF OF WALLSTREET gibt es eine Szene, die wenig dramatische Infos liefert. Sie bleibt in der Schwebe, bringt den Plot nicht vor, nicht zurück. Sie führt uns aber die Art der Interaktion der Wallstreet-Händler mit dem namensgebenden Wolf vor, der auf der Bühne seiner Firma eine Kollegin vorstellt. Die Kollegin kriegt Geld und soll im Gegenzug ihre langen Haare live auf der Bühne abrasieren.
Erst beim zweiten Schauen des Films erschloss sich mir die Szene. Die Szene führt vor, was die Gier nach Geld mit Menschen anrichtet. Mehr noch: Sie führt das Vulgäre vor, dem sich Schönheit, Eleganz, Pracht beugen müssen. Die Kollegin wird durch die schlecht ausgeührte Rasur entstellt, doch kichert sie glücklich, etwas unsicher zwar und mit Tränen im Gesicht, über das viele Geld, das ihr der Wolf zuwirft. Sie sammelt es unterwürfig, schamlos, vom Boden auf, während um sie herum eine Orgie ausbricht.
Die Szene zeigt die Funktionsweise der Gier, die sich in Wallstreet in dieser Firma festgesetzt hat (bzw. den Aufstieg ebenjener Firma ermöglicht hat), zeigt die Gier, die die Menschen ergreift und sie entstellt, und sie in den Wahn der Euphorie hineindrängt, erklärt dies alles als szenische Allegorie.
Kein Dialog, kein Zeigefinger, sondern eine Szene, um eine Aussage zu treffen. Wunderbar gemacht.