Ein Klassiker, nicht das Buch, aber der Film: FORREST GUMP. Tom Hanks wurde spätestens mit dieser Rolle weltberühmt, gewann Preise, darunter einen Academy Award. Aber nur wenigen ist bewusst, welche Hautfarbe Tom Hanks in seiner Rolle wirklich – auf der Ebene der Metapher – hat. Ein Tipp: Er ist nur auf der Leinwand weiß.
Die Figur Forrest Gump wird sorgsam und sehr detailliert vorgestellt. Der Film ist peinlich genau darauf bedacht, Forrest in ganz speziellen Gebieten und bei genau ausgesuchten Tätigkeiten zu zeigen. Tom ist athletisch, ein Sportler, Top Athlet im Football Team, später mit einer Kelle in der Hand vorm Tischtennis-Tisch. Ein Klischee, nicht nur für Sportler, wird nebenbei etabliert: Sportlich, aber nicht sehr hell im Kopf.
Gezeigt wird die Figur oft in Nachbarschaft und Nähe zu anderen Einwohnern Alabamas, und zwar zur afro-amerikanischen Community: zum Beispiel im Flur mit einer afro-amerikanischen Putzfrau, die etwas nachlässig den Boden wischt. Die Putzfrau im leeren Flur ist nicht bloßes Hintergrundelement sondern weist auf die metaphorische Ebene des Films hin, sie ist Bestandteil eines Zeichennetzes, das sich auch im Plot verdichtet: zum Beispiel ist sein bester Kumpel schwarz und Forrest strebt das Leben seines Freundes an und kauft ein Schiffchen zum Krabbenfangen.
Die Nähe zur schwarzen Bevölkerung, seine athletischen Fähigkeiten – und das rassistische Klischee der Südstaaten Amerikas über die Dummheit ihrer ehemaligen Sklaven: alles Hinweise auf den metaphorischen Status Forrest Gumps.
Forrest ist eigentlich ein Schwarzer: ein Weißer, der als Platzhalter für die Geschichte der Schwarzen herhalten muss. Durch seine Funktion als Platzhalter weist er auf die Lücke in der Geschichte Amerikas hin, auf das Fehlen der schwarzen Bevölkerung in der kollektiven Geschichte. Eigentlich, um es historisch korrekt zu machen, hätte die Figur Forrest Gump von einem Schwarzen gespielt werden. Dann aber würden die rassistischen Klischees nicht zu Bewusstsein rücken, der Film wäre selbst, statt anklagend zu sein, einfach nur plump rassistisch.
Die Funktion – durch Einführen einer weißen Figur auf die Missstände der ignorierten und überhörten Schwarzen zu verweisen – macht der Film auf eine sehr konsequente Art. Forrest bewegt sich im Dunstkreis der rassistischen Klischees und immer in engster Nähe zu afro-amerikanischer Geschichte, die in dem Kontext vor allem Sport und politische Bewegungen (Black Panthers) umschloss. Forrest ist dabei, gehört jedoch nicht dazu. Er wird durch den Film hinzufabuliert, und einzig ein geistig zurückgebliebener Mann, der gutmütig ist, kann dieses Hinzufabulieren für uns Zuschauer glaubwürdig machen.
Die Platzhalter-Funktion und das Sich-Hineinfabulieren in die Geschichte wird im Film durch den damals revolutionären Einsatz von VFX (bei Kennedy im Oval Office usw.) betont. Die Nähe zur anderen „Rasse“ erhöht die Figur Forrest Gump ins Metaphorische: Sie steht für eine Geschichte, die es nie gegeben hat, aber geben müsste, wenn nur die Hautfarbe jener Menschen anders gewesen wäre. Forrest Gump ist durch seine Präsenz eine Anklage an der Geschichte der Vereinigten Staaten.
Den Dopppelboden, die offensichtliche Platzhalter-Funktion in einen Blockbuster eingebaut zu haben ist die große Leistung Robert Zemeckis‘ und seines Teams.
Ich bin gerade auf diesen Blogbeitrag gelandet und habe ihn mit großem Interesse gelesen, da ich gestern „Forrest Gump“ zufälligerweise nach langer Zeit mal wieder gesehen habe. Dass Tom Hanks, oder Forrest, für die schwarze Bevölkerung Amerikas steht, ist eigentlich so offensichtlich nach diesem Artikel, und dennoch kam mir diese schlüssige Interpretation nie in den Sinn. Großartig! Ich freue mich, weitere Artikel von dir zu lesen!
Freut mich, dass Dir der Film gefallen hat und die Interpretation schlüssig erschien. Ich habe den Film über die Jahre mehrmals geschaut, bis ich darauf stieß 🙂