LOLA MONTEZ von Max Ophüls wiedergesehen, neu entdeckt. Der Name ist Programm: Sie steigt auf, sie balanciert über den Köpfen der Bediensteten und des Publikums hinweg, steigt auf Hocker, nur um Nebenbuhlerinnen bloßzustellen. Sie erhebt sich über andere, das Publikum dankt es ihr, indem es applaudiert. Grau und einförmig ist nicht nur das Äußere ihrer Zuschauer. Auch ihre Regungen ordnen sich der temperamentvollen, leidenschaftlichen und strengen Frau unter, die gerade an diesem Tag ihren schwächsten Auftritt und damit ihren großen Moment der Schwäche hat. Sie gibt sich Blöße, und das in aller Offenheit, so wie es ihr eigen ist, vor einem Publikum. Sie ist an diesem Abend nicht ganz bei sich. Wann fühlt sie sich stark, wann ist sie in ihrem Element? – Das ist vor allem in vertrauter Zeweisamkeit mit einem Mann. Sei es in der behaglichen Intimität von geräumigen Kutschen oder in den beigen Gemächern Maximilians – wenn sie allein mit einem Mann ist, fern von Beobachtern, hinter verschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen, dann greift ihr Zauber um sich, zieht den Mann in ihr Gravitationsfeld. Er kreist um sie und vergisst, dass andere auch um ihn kreisen müssen. Er ist ihr verfallen.
Das Sich-Lösen von der Beziehung, die Trennung, ist dann weniger eigenem Ehrgeiz und Willen als äußeren Einflüssen geschuldet: Der Kutscher, der just losfährt, als sich Montez‘ Finger und die kostbarsten Fingerspitzen der Menscheitsgeschichte, die von Liszt, drohen zu berühren; der Aufstand im Reich, die Revolution, die Maximilian zur Trennung bewegt. Erstaunliche Macht, die sie auszuüben weiß. Nie wird sie als Männer verschlingende Lulu gezeigt, sie ist keine Lolita wider Willen. Ihre Macht ist ihr Temperament, der eruptive Ausbruch von Emotionen, der die Schicklichkeit – das, was sich ziemt – zermalmt. Wenn sie sich ihr Kleid vom Leib reißt, bringt es die Verwaltung einer starren, alten, behäbigen Monarchie ins Wanken. Wunderbar sehen wir Diener, Statuen gleich auf Posten, nun aber kreuz und quer durch die Pracht der Marmorgemäuer rennen, um „denen da oben“, die im letzten Stockwerk, Nähzeug zu bringen.
Dort, hoch oben, ist Lola angenomment, ist hochgestiegen worauf ihr Name im Französischen anspielt: aufsteigen. Aber, das ist die Klimax des Films, sie muss fallen, fallen können, muss ihre Schande, Attraktion im Zirkus geworden zu sein, überwinden.
LOLA MONTEZ ist einer der bedeutensten Filme Max Ophüls, des europäischsten Regisseurs, vor und nach dem zweiten Weltkrieg. Das Potpourri an Sprachen, die auch er beherrschte, floß auch in diesen Film ein. Bemerkenswert: sein einziger Farbfilm, dazu in Technicolor. Die ornamentale Ästhetik des Schwarz-Weiß von PLÄSIR und MADAME DE… gibt die Manege frei für das Glitzern von Kronleuchtern, für blaues Licht und Erinnerungen, die in feuerroten Schein getaucht sind. Die Farbwelt überwältigt die Sinne und muss von der Kadrierung, die auf- und zugezogen wird, domptiert werden. Max Ophüls wird am Ende selbst zum Dompteur der Bildsprache des Films.